Pneumologie: Neue Therapiemöglichkeiten bei Zystischer Fibrose
Pneumologie

Pneumologie: Neue Therapiemöglichkeiten bei Zystischer Fibrose

Schlaglichter
Ausgabe
2017/5152
DOI:
https://doi.org/10.4414/smf.2017.03156
Schweiz Med Forum 2017;17(5152):1168-1170

Affiliations
a Universitätsklinik Pneumologie, Inselspital, Bern; b Universitätskinderklinik Pneumologie, Inselspital, Bern; c Universitätskinderklinik Pneumologie,
Universitäts-Kinderspital, Zürich

Publiziert am 20.12.2017

Medikamente, die die grundlegende Störung ihrer lebenseinschränkenden Er­krankung auf Proteinebene des «Cystic Fibrosis Transmembrane Conductance Regulator»-Moleküls modulieren, wecken neue Hoffnungen für Patienten mit Zystischer Fibrose.

Einführung

Zystische Fibrose (CF, Mukoviszidose) ist eine der häufigsten autosomal-rezessiv vererbten, chronischen Multisystemerkrankungen mit eingeschränkter Lebenserwartung und einer Prävalenz von ca. 1:2500, die weltweit ca. 70 000 Menschen betrifft. In der Schweiz sind ca. 900 Menschen betroffen. Zuerst beschrieben wurde die Erkrankung im Jahre 1938. Obwohl seit den 1980er Jahren die genetische Ursache bekannt ist, war bis vor kurzem lediglich eine symptomatische Behandlung der Folgen des defekten «Cystic Fibrosis Transmembrane Conductance Regulator»(CFTR)-Gens verfügbar. Neue Entwicklungen in der Medikamentenherstellung machen es nun möglich, die Auswirkungen des CFTR-Gendefekts selbst zu mildern.
Die Ursache der Erkrankung ist eine Mutation des CFTR-Genes, das einen transmembranen Kanal kodiert und für den Anionentransport, hauptsächlich von Chlorid, jedoch auch Bikarbonat, verantwortlich ist. Mittlerweile werden sechs Mutationsklassen mit daraus folgender residueller oder nur noch minimaler CFTR-Restfunktion unterschieden (Abb. 1). Es besteht ein relativ starker Zusammenhang zwischen der Mutationsklasse und der Pankreasfunktion. Weniger klar ist der Zusammenhang mit dem pulmonalem Verlauf. Diese Unterscheidung in Mutationsklassen ist aufgrund der neuen CFTR-spezifisch wirkenden Medikamente (siehe unten) auch zunehmend klinisch relevant.
Abbildung 1: Classes of CFTR -mutations. Mutations in the cystic fibrosis transmembrane conductance regulator (CFTR ) gene can be divided into six classes. Class I mutations result in no protein production. Class II mutations (including the most prevalent, Phe508del) cause retention of a misfolded protein at the endoplasmic reticulum, and subsequent degradation in the proteasome. Class III mutations aff ect channel regulation, impairing channel opening (eg, Gly551Asp). Class IV mutants show reduced conduction – ie, decreased flow of ions (eg, Arg117His). Class V mutations cause substantial reduction in mRNA or protein, or both, Class VI mutations cause substantial plasma membrane instability and include Phe508del when rescued by most correctors (rPhe508del). Aus: Boyle MP, De Boeck K. A new era in the treatment of cystic fibrosis: correction of the underlying CFTR defect. Lancet Respir Med. 2013;1(2):158–63. Nachdruck mit freundlicher Genehmigung von Elsevier. http://www.sciencedirect.com/journal/the-lancet-respiratory-medicine.
Ein Fehlen oder eine Dysfunktion des CFTR betrifft hauptsächlich apikale Epithelzellen und resultiert in reduzierter Hydrierung und vermindertem mukoziliärem Transport [1, 2], chronischer Infektion mit konsekutiver Entzündung sowie in Folge irreversiblen strukturellen Schäden an den Atemwegen. Die Expression von CFTR in den glatten Muskelzellen der Atemwegswand beeinflusst vermutlich auch die Obstruktion zentraler Atemwege. Neben der resultierenden respiratorischen Insuffizienz im jungen Erwachsenenalter führt der strukturelle Umbau des Pankreas zu anfangs exokriner und im Verlauf auch endokriner Pankreasinsuffizienz, Leberzirrhose und Infertilität, die auf die Morbidität und Mortalität Einfluss nehmen [3].
Ein wesentlicher Bestandteil der Behandlung ist eine «symptomatische» Therapie, um mukoziliären Transport zu verbessern und Infektionen zu behandeln. Atemphysiotherapeutische und inhalative Massnahmen (mit hypertoner Kochsalzlösung, Mannitol und DNase) sowie inhalative (z.B. Tobramycin, Colistin, ­Aztreonam) und systemische Antibiotika werden zur Förderung der mukoziliären Clearance und zur Behandlung von respiratorischen Infekten mit z.B. Pseudomonas aeruginosa eingesetzt. Zur Verbesserung der Malabsorption stehen Pankreasenzymersatz und Ernährungsergänzung mit fettlöslichen Vitaminen und hochkalorischen Nahrungsmitteln zur Verfügung. Die Entwicklung und der Zugang solcher Massnahmen verbesserten zusammen mit einem multidisziplinären Behandlungsteam signifikant die mittlere Lebenserwartung der Patienten mit CF auf über 40 Jahre.

Therapiemöglichkeiten

Neue automatisierte Hochleistungs-Screening-Methoden haben in den letzten Jahren dazu beigetragen, neue Wirkstoffe zu entdecken. Die neuesten Medikamente, die den zugrunde liegenden Defekt der ­CFTR-Funktion verbessern oder korrigieren, bieten eine vielversprechende Aussicht auf eine effektive krankheitsmodifizierende Behandlung der CF.

CFTR-spezifische Therapien

Gentherapie

Die CF ist eine monogene Erkrankung und damit einer Gentherapie theoretisch gut zugänglich. Dazu sind Vektoren notwendig, die das erkrankte durch das gesunde CFTR-Genmaterial ersetzen. Wegen der Zellerneuerung müssen die Vektoren regelmässig appliziert werden. Bisherige Studien haben noch keinen therapeutischen Durchbruch gebracht. Ob die vielversprechende CRISPR/Cas9-Gentechnik-Methode auch bei CF angewandt werden kann, bleibt abzuwarten.

CFTR-Modulatoren

Zur Behandlung bereits zugelassen sind erste Genera­tionen der CFTR-Modulatoren (Potentiatoren, Korrektoren), die in Form kleiner Moleküle den CFTR-vermittelten Anionentransport verbessern.
Ivacaftor führt zu einer verbesserten Öffnung («gating») des CFTR-Kanals (CFTR-Potentiator). Gegenüber Plazebo zeigte Ivacaftor bei Patienten mit der Klasse-III-Mu­tation (sog. Gating-Mutation) eine Ver­besserung der Lungenfunktion (FEV1) um ca. 10%, eine Reduktion der Chloridkonzentration im Schweisstest um 60 mmol/l, eine verbesserte Lebensqualität und eine geringere Häufigkeit von pulmonalen Exazerba­tionen [4].
2012 wurde von der «Food and Drug Administration» (FDA) Ivacaftor (Kalydeco®) für Patienten mit der Mutation G551D (bzw. Gly551Asp) der Klasse III zugelassen [4]. In der Schweiz ist das Medikament seit 2014 erhältlich. Die besagte Mutation betrifft allerdings lediglich ca. 1% der CF-Patienten in der Schweiz. Mittlerweile schliesst die FDA-Indikation 30 Mutationen mit ein, die den Klassen III und IV zugehören.
Die bisherigen klinischen Erfahrungen mit Ivacaftor sind sehr erfreulich mit deutlicher Verbesserung im Hinblick auf Gewicht, Lungenfunktion, pulmonale Exazerbationen und strukturellen Lungenveränderungen [5].
Ivacaftor/Lumacaftor: Lumacaftor, ein CFTR-Korrektor für die Klasse-II-Mutation, führt zu einer verbesserten Faltung des CFTR-Proteins in der Zelle und somit besseren Verfügbarkeit von funktionsfähigen CFTR-Kanälen an der apikalen Zellmembran. Ivacaftor wiederum führt zu einer verbesserten Öffnung des CFTR-Kanals. Das Kombinationspräparat führt bei Patienten mit homozygotem Nachweis der Klasse-II-Mutation Phe508del zu einer lungenfunktionellen Verbesserung (FEV1) um ca. 3% und zu einer Verringerung der Rate an pulmonalen Exazerbationen [6]. Der positive Effekt, die Reduktion der Chloridkonzentration im Schweisstest, fällt im Vergleich zu Ivacaftor bei Patienten mit der Klasse-III-Mutation deutlich geringer aus.
2015 wurde Ivacaftor/Lumacaftor (Orkambi®) von der FDA in den USA und 2016 von der Swissmedic in der Schweiz für Phe508del-homozygote Patienten zuge­lassen. Die potentielle Anwendbarkeit dieses Medi­kamentes ist gross, da 85–90% aller Patienten mit CF mindestens ein Allel von Phe508del besitzen. Details zur Kostenübernahme, vor allem durch die Invalidenversicherung, werden zum Zeitpunkt der Verfassung dieses Artikels noch verhandelt.
Klinische Erfahrung mit der Kombination aus Ivacaftor/Lumacaftor sind trotz Einsatz bei homozygoten Patienten mit der Mutation Phe508del sehr heterogen. Die Mechanismen für das unterschiedliche Ansprechen auf CFTR-Korrektoren sind bisher noch unklar.
Weitere CFTR-Modulatoren sind derzeit in klinischen Studien unterschiedlicher Phasen (https://www.cff.org/Trials/Pipeline). Abgeschlossene Phase-II-Studien zu Tezacaftor, einem CFTR-Korrektor, suggerieren ein verbessertes Wirkungs- und Nebenwirkungsprofil im Vergleich zu Lumacaftor bei Phe508del-homozygoten Patienten. Neue CFTR-Korrektoren, z.B. FDL169, GLPG2222 und VX-152, befinden sich in Phase-II-Studien bei Phe508del-homozygoten Patienten. Epitheliale Natriumkanal-, sogenannte ENaC-Inhibitoren, fördern die Aufrechterhaltung des «airway surface liquid» (ASL) und verhindern damit die Austrocknung der Atemwege, ­indem sie den CFTR-Effekt auf den ENaC imitieren [5]. CFTR-Verstärker («CFTR-amplifier») erhöhen die Wirkung der CFTR-Korrektoren und Potentiatoren.
Die Anwendung dieser CFTR-spezifischen Therapien ist derzeitig nur spezialisierten Zentren vorbehalten, um Patientendaten und Erfahrungen mit diesen neuen Medikamenten in CF-Registern zu sammeln.

Diskussion

Aufgrund von Entwicklung und Verfügbarkeit neuer Methoden und Medikamente sowie multidisziplinärer Behandlung an CF-Zentren ist die Lebensqualität und die mittlere Lebenserwartung von CF-Patienten in den letzten Jahrzehnten deutlich gestiegen. Mittlerweile erreichen CF-Patienten das Erwachsenenalter, sodass sie mit anderen CF-assoziierten Komorbiditäten konfrontiert werden. Verlaufsparameter und Endpunkte für neue Therapien in derzeitigen klinischen Studien sind neben lungenfunktionellen Parametern auch radiologische Bildgebung und klinische Symptome wie Häufigkeit von Exazerbationen und Hospitalisationen.
Junge Patienten mit CF, die in Studien eingeschlossen werden können, werden immer «gesünder» und haben meist eine normale Spirometrie. In Zukunft sind daher sensitivere Biomarker gefragt, um geringere Unterschiede verschiedener Therapien zu vergleichen. Beispielsweise ist der «Lung Clearance Index» (LCI) mittels Gas-Verdünnungsmethode gemessen sensitiver als das FEV1 und könnte in zukünftigen klinischen Studien ein relevanter Endpunkt sein, gerade bei Patienten mit milder Lungenbeteiligung [7].
In Zukunft wird die personalisierte Medizin mit Kombination aus mehreren CFTR-spezifischen Medikamenten in Anbetracht der Vielfalt der in der Pipeline befindlichen neuen Präparate bei der Behandlung von CF-Patienten im Vordergrund stehen. Organoide, drei-dimensionale Zellkulturen, könnten bei zum Beispiel seltenen Mutationen sinnvoll sein, um zu bestimmen, ob eine spezifische seltene Mutation auf einen bestimmten CFTR-Modulator anspricht.
Insgesamt ist mit den ersten kausal wirkenden Medikamenten für Patienten mit CF ein neues Zeitalter angebrochen. Wie stark das in den nächsten Jahren das Krankheitsbild und die Behandlung dieser Patienten verändert, wird sich in longitudinalen Studien zeigen, wie sie auch in der Schweiz durchgeführt werden (www.scild.ch).
PL bzw. die Universitätskinderklinik Bern hat Geld für ­Advisory Boards und Vorträge von folgenden Firmen erhalten: ­Gilead, Novartis, Polyphor, Roche, Schwabe, Vertex, Vifor, Zambon. 
FS bzw. das Universitäts-Kinderspital Zürich hat Geld für Vorträge und Review-Tätigkeit von folgenden Firmen erhalten: Novartis, Vertex. 
DL hat keine finanziellen oder persönlichen Verbindungen im Zusammenhang mit diesem Beitrag deklariert.
Dr. med. Dagmar Lin
Universitätsklinik
Pneumologie
Inselspital Bern
Freiburgstrasse
CH-3010 Bern
Dagmar.Lin[at]insel.ch
1 Birket SE, Chu KK, Liu L, Houser GH, Diephuis BJ, Wilsterman EJ, et al. A functional anatomic defect of the cystic fibrosis airway. Am J Respir Crit Care Med. 2014;190(4):421–32.
2 Cook DP, Rector MV, Bouzek DC, Michalski AS, Gansemer ND, Reznikov LR, et al. Cystic Fibrosis Transmembrane Conductance Regulator in Sarcoplasmic Reticulum of Airway Smooth Muscle. Implications for Airway Contractility. Am J Respir Crit Care Med. 2016;193(4):417–26.
3 Elborn JS. Cystic fibrosis. Lancet. 2016;388(10059):2519–31.
4 Ramsey BW, Davies J, McElvaney NG, Tullis E, Bell SC, Drevinek P, et al. A CFTR potentiator in patients with cystic fibrosis and the G551D mutation. N Engl J Med. 2011;365(18):1663–72.
5 Quon BS, Rowe SM. New and emerging targeted therapies for cystic fibrosis. BMJ. 2016;352:i859.
6 Wainwright CE, Elborn JS, Ramsey BW. Lumacaftor-Ivacaftor in Patients with Cystic Fibrosis Homozygous for Phe508del CFTR. N Engl J Med. 2015;373(18):1783–4.
7 Milla CE, Ratjen F, Marigowda G, Liu F, Waltz D, Rosenfeld M, et al. Lumacaftor/Ivacaftor in Patients Aged 6–11 Years with Cystic Fibrosis and Homozygous for F508del-CFTR. Am J Respir Crit Care Med. 2017;195(7):912–20.